Extrawurst

KARSTEN ENGELHARDT

Schauspieler & Regisseur

KARSTEN ENGELHARDT

Schauspieler & Regisseur

Presseartikel

Verein vor der Zerreißprobe
13. Juli 2023 | Von Uwe Kraus

Premiere. Eine Komödie fragt am Nordharzer Städtebundtheater, wie viele Extrawürste auf deutschen Grills landen und ob es auch dort eine deutsche Leitkultur gibt.
Halberstadt. 2022 waren deutschlandweit 615.759 Vereine im Register eingetragen, in Sachsen-Anhalt herrscht sogar mit 19.254 Vereinen eine überdurchschnittlich hohe Dichte. Wer am Samstag zur Premiere von „Extrawurst“ in den Kreuzgang der Halberstädter Liebfrauenkirche aufbrach, landete flugs in der Jahreshauptversammlung des fiktiven TC Lengenheide und wird als stimmberechtigtes Mitglied im Tennisclub vereinnahmt. Arnold Hofheinz peitscht als Langzeit-Vorsitzender Dr. Heribert Bräsemann dieTagesordnung durch, übersieht geflissentlich Wortmeldungen, um schnell bei Bier, Nudelsalat & Co. zu landen. Doch unter „Sonstiges“ soll noch schnell und routinemäßig übe einen neuen Grill für die Vereinsfeier abgestimmt werden. Eigentlich eine Formsache, doch plötzlich geht es um mehr als Holzkohle, Gas- oder Elektrobetrieb, als Melanie Pfaff, einprägsam von Alice Macura gespielt, vorschlägt, einen eigenen Grill für das einzige türkische Mitglied des Clubs zu finanzieren. Denn die einsamen drei Knoblauchwürstchen für den gläubigen Muslim dürfen sich nicht auf dem Rost mit dem Schweinefleisch seiner deutschen Tennispartner sonnen.

Karsten Engelhardt, der in den vergangenen Sommertheater-Jahren am Harztheater „Golden Girls“ und „Landeier“ auf die Bühne brachte, nimmt sich nun der vor vier Jahren in Hamburg uraufgeführten Schauspielkomödie „Extrawurst“ von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob an. Schnell zeigt sich, an so einem Grill kann man sich Finger wie Mund verbrennen.
Das Vereins-Publikum bekommt fast im Minutentakt comedyhaft von den mit Mikroportsausgestatteten Akteuren die Lachvorlagen zugespielt und schaut gelegentlich vorsichtig zum Vereinsbruder oder der -schwester, ob man denn politisch korrekt dem Herzen Luft macht.Denn das Leben lehrt, dass weit über Vereinsgrenzen hinaus das Dauerbeleidigtsein zelebriert wird; Quote, Diversität, Gendersternchen, sexuelle Präferenzen und religiöse Ausrichtung sowie Dauerbetroffenheit setzen Tennisverein und Gesellschaft mächtig zu. Erol, Anwalt und Tennis-Doppel-Partner von Melanie, die wiederum mit Kreativmanager Torsten verheiratet ist, gehört zu türkischer Community und zum TC. Frederik Reents übernimmt die Rolle des Türken, der Tennis spielen und keine „Extrawurst“ gebraten bekommen will. Doch Minute um Minute bewegt sich die Diskussion weiter vom modernen Grill mit zwei Etagen und Platz für 30 Schweinswürste fort. Werner Klaus schafft das Bühnenbild für die sehr aktuelle Komödie, die sich zwischen Tennis-Court und Vereinshaus fast zu einem Drama entwickelt. Jetzt geht es an die Grundfragen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wie viele Rechte muss eine Mehrheit einer Minderheit einräumen? Wenn man selbst Religionen ablehnt, muss man sie tolerieren?
Oder gehören Vegetarier zu einer Glaubensgemeinschaft?

Karsten Engelhardt inszeniert das alles genauso flott, wie man als Zuschauer auf einem Meinungspendel schwingt, eine Position ablehnt und im gleichen Zuge der nächsten etwas abgewinnen kann. Grenzen verschwimmen, Atheisten und Gläubige, Gutmenschen und Hardliner, Tolerante und Verbohrte knallen frontal aufeinander. Und das Lachen bleibt nicht im Halse stecken, wenn es ebenso respektlos wie komisch um Grill-Würstchen im Koran und das vorauseilende permanente Entschuldigen geht.
Es gibt Ohrfeigen und Rempler, verbale Ausfälle in fast jede Richtung, der von Stefan Werner Dick gespielte Vize- wird zum kommissarischen Vereinschef, Ober-Vereinsmeier Dr. Bräsemann schmeißt hin, um per Mikrofon vom
Schiedsrichter-Platz die Fäden weiter zuziehen. Hinter vordergründiger Toleranz schauen Vorurteile hervor. So beim Wortakrobaten Torsten Pfaff (Eric Eisenach), der durchaus eifersüchtelnd das Doppel von Erol und Melanie am Netz beargwöhnt. Von einem Fettnäpfchen ins nächste führt der immer hitziger werdende Schlagabtausch. Was gut gemeint sein mag, schaukelt sich vom Missverständnis zum handfesten Streit hoch. Selbst die Nerven von Erol liegen blank und er hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, in dem er missglückte Zuwanderungspolitik sieht. Um die Zukunft des
TC Lengenheide dürfte es nicht sonnig bestellt sein. Vielleicht nutzt man die Zeit für einen Neuanfang, wie Melanie hofft, und Vorsitzender Dr. Heribert Bräsemann lernt loszulassen.
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